Vom Tourismus- zum Lebensraumkonzept – Gewusst wie!

Der Fokus von Destinationen verschiebt sich: Statt reiner Tourismuskonzepte stehen immer häufiger Überlegungen im Fokus, wie eine Balance zwischen Gästeerlebnis und Lebensqualität für die Einwohner der Destination gefunden werden kann. Doch wie geht man eine solche Neuausrichtung an?

In den vergangenen Jahren lässt sich ein Perspektivenwechsel bei der strategischen Ausrichtung von Destinationen feststellen: Während früher allein der Gast im Fokus der Tourismusentwicklung stand, werden heute immer öfter die Bedürfnisse und Wünsche der Einheimischen berücksichtigt. Ziel hierbei soll sein, die Tourismusentwicklung so zu gestalten, dass die Bewohner der Region erstens keine Einschränkungen durch die Tourismusaktivitäten erfahren und zweitens größtmöglich von den Entwicklungen profitieren. Dieser Ansatz des Lebensraums weitet den rein touristischen Fokus aus: Weg von dem, was „nur“ den Gästen guttut, hin zu ganzheitlichen Überlegungen, in denen die Belange der Einheimischen und lokalen Betriebe ebenso berücksichtigt werden. Hinter dieser Überlegung steckt die Annahme, dass alles was den Einheimischen guttut, fast immer auch für die Gäste gut ist. Eine hohe Lebensqualität ist insbesondere für touristisch geprägte Regionen zukunftsentscheidend, denn: Attraktiver Lebensraum für Einheimische = Attraktiver Arbeitsraum für Mitarbeiter = Attraktiver Erlebnisraum für Gäste.

Bereits in vielen Konzepten von nationaler bis kommunaler Ebene können diese Ansätze gefunden werden. In Anbetracht aktueller Diskussionen zu nachhaltiger und sozialverträglicher Tourismusentwicklung, auch vor dem Hintergrund von sinkender Tourismusakzeptanz und Overtourism-Debatten, sind diese Entwicklungen kaum verwunderlich. Schwierig ist jedoch häufig die praktische Umsetzung.

Durch jahrelange Erfahrung aus Projekten in Deutschland, Österreich und Italien leitet Kohl & Partner folgende Schritte für eine erfolgreiche Lebensraumentwicklung in Tourismusdestinationen ab:

Schritt 1: Evaluierung der Lebens- und Aufenthaltsqualität

Als Basis für die Lebensraumentwicklung ist es notwendig, den eigenen Status Quo zu kennen: Welche positiven und negativen Aspekte nehmen Einwohner und Mitarbeiter in der Destination wahr? Welche Aspekte werden besonders gut, welche schlecht bewertet? Interessant kann hier auch die differenzierte Betrachtung verschiedener Gruppierungen sein. Kohl & Partner hat hierfür den LebensQualiMeter® entwickelt, der auf Basis von 12 wissenschaftlich fundierten Faktoren diese Fragen beantwortet und durch die Kombination von offenen und geschlossenen Fragen sowie durch altersgerechte Fragebögen eine detaillierte Bewertung der subjektiven Lebensqualität der Menschen in der Destination ermöglicht.

Schritt 2: Vergleich von subjektiver Wahrnehmung und Fakten

Den im ersten Schritt gewonnenen Ergebnisse werden dann „harte Fakten“ in Form von Statistiken, Zahlen und Daten gegenübergestellt, um mögliche Unterschiede zu ermitteln. Können z.B. wahrgenommene Überlastungen durch Touristen auch mit einer gestiegenen Gästezahl bestätigt werden? Oder wie werden Freizeit- und Bildungsangebote wahrgenommen? Werden Unterschiede zwischen Wahrnehmung und Faktenlage gefunden, ist nach den Ursachen zu suchen.

Schritt 3: Der persönliche Dialog mit den Menschen vor Ort

Der Lebensraum ist für die Menschen vor Ort da – und sollte entsprechend auch von ihnen gestaltet werden. Deshalb sollten sie auch aktiv zur Mitsprache und Mitgestaltung eingeladen werden. Das kann durch offene Beteiligungsformen wie z.B. „Lebensraumwerkstätten“ erfolgen, in denen Einheimische eine Plattform finden, auf der sie ihre Sorgen und Wünsche offen anbringen können. Gerade in stark touristisch geprägten Regionen sollten in einem solchen Format auch offen Konfliktfelder zwischen Gästen und Einheimischen angesprochen werden. Gemeinsam gilt es dann, Ziele für die zukünftige Gestaltung des Lebensraums und damit auch des Erlebnisraums zu definieren.

Schritt 4: Schlüsselprojekte und deren Umsetzung

Nun folgt die kritische Phase: Um das Vertrauen nicht zu verlieren, müssen auch Taten folgen. Durch die Erhebungen und Gespräche kristallisieren sich in der Regel einige Kernthemen und Problemfelder heraus. Um diese anzugehen, müssen Projektideen und Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden. Zwar sind Tourismusorganisationen oft Initiatoren in der Lebensraumentwicklung, doch spätestens in dieser Phase ist die Einbindung weiterer Partner notwendig. Hier können Politik, Verwaltung und Unternehmen, aber auch Bürgerinitiativen, Vereine und Privatpersonen eingebunden werden. Gerade die Einbindung letzterer Gruppierungen ist wichtig, um die Projekte auf eine breite Basis zu stellen und diese nicht wie häufig in einem Top-Down-Prozess anzugehen Für die Umsetzung können Projektgruppen installiert werden, die im optimalen Fall durch eine eigens eingerichtete „Kümmerer-Stelle“ begleitet werden.

Schritt 5: Evaluierung und Kontrolle

Viele Konzepte und Ideen scheitern kurz vor Schluss in der Umsetzung. Um das zu verhindern, müssen Kontrollmechanismen installiert werden, um auch das Interesse weiterhin wachzuhalten. Hierfür dienen einerseits regelmäßige Treffen der einzelnen Projektgruppen, um sich über den Fortschritt auszutauschen und die nächsten Schritte zu planen. Aber auch die Öffentlichkeit sollte regelmäßig informiert werden, um aufzuzeigen, dass das Thema ernstgenommen wird.

Durch diesen letzten Punkt wird außerdem Kontinuität in der Lebensraumentwicklung geschaffen. Denn eines sollte deutlich gemacht werden: Die Entwicklung von Lebensraum und Lebensqualität ist keine einmalige, sondern es sind kontinuierliche Anstrengungen notwendig, auch um sich auf sich verändernde Rahmenbedingungen einzustellen. Nur so ist es möglich, eine dauerhafte Balance zwischen Gästen und Einheimischen zu schaffen und durch nachhaltige Entwicklungen beide Seiten profitieren zu lassen.